BAD REICHENHALL/BAYRISCHZELL – Bergwacht-Regionalleiter Dr. Klaus Burger und der Pidinger Bergführer Peter Geyer engagieren sich seit vielen Jahren auch überregional in wichtigen Ehrenämtern, darunter der seit mittlerweile 28 Jahren bestehende Deutsche Gutachterkreis für Alpinunfälle, alpine Ausrüstung und Materialkunde (GAK), in dem sie regelmäßig die im deutschsprachigen Raum anerkannten und erfahrenen Alpin-Experten zur fachlichen Diskussion zusammenbringen und dabei neben der vorgeschriebenen Gutachter-Fortbildung sehr praxisnah anspruchsvolle alpine Fach- und Rechtsfragen diskutieren, neue Entwicklungen kritisch hinterfragen und über die Verbände und Netzwerke wichtige Impulse für mehr Sicherheit am Berg setzen. Ihre Motivation dabei ist es, dass weniger schwere Unfälle passieren und viele Rechtsfälle damit erst überhaupt gar nicht entstehen, indem sie nach dem Vorbild des 2024 verstorbenen legendären Vorreiters in der alpinen Sicherheits- und Materialforschung Pit Schubert stetig den intensiven Wissensaustausch fördern.
Vorsitzender Dr. Klaus Burger, sein Stellvertreter Wolfgang Spindler und Peter Geyer, der Leiter des Fachgremiums der für Deutschland zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) München und Oberbayern hatten zur jüngsten GAK-Tagung in die Bergunterkunft der Bayerischen Bereitschaftspolizei am Sudelfeld geladen, bei der die Vertreter der deutschen Alpinverbände, öffentlich bestellte und vereidigte Alpingutachter aus Deutschland und Österreich, Staatsanwaltschaft und Alpinpolizei intensiv die aktuellen Themen der Fach- und Rechtspraxis diskutierten. Konkret ging es am Beispiel des Partnerchecks beim Klettern darum, wann sich anerkannte Empfehlungen und Lehrmeinungen zu rechtlich verbindlichen Sorgfaltspflichtmaßstäben entwickeln, wieviel Eigenverantwortung des Gastes beim Führen überhaupt erlaubt ist und wie zunehmend digitale KI-gestützte Planungstools wie der so genannte Skitourenguru fachlich und rechtlich einzuordnen sind.
Die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft
Einen rechtsfreien Raum gibt es auch im Gebirge nicht: Dr. Hanspeter Zweng, der stellvertretende Chef der Staatsanwaltschaft Kempten und Staatsanwalt Christopher Heckel erläuterten, wie Ermittlungen bei Alpinunfällen konkret ablaufen. Bei tödlichen Bergunfällen verständigt die Polizei unverzüglich die Staatsanwaltschaft, die von Amts wegen ein Todesermittlungsverfahren einleitet und prüft, ob die Leiche des Verstorbenen freigegeben werden kann. Die Staatsanwaltschaft ist dabei gesetzlich verpflichtet, wegen möglicher verfolgbarer Straftaten immer dann einzuschreiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden vorliegen; möglich sind die fahrlässige Körperverletzung, die fahrlässige Tötung und die unterlassene Hilfeleistung. Dann wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und meist auch einer der bestellten Gutachter beauftragt. Entscheidend ist dabei der durchaus komplexe juristische Stellenwert der vom Bundesgerichtshof anerkannten „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“; dieses Rechtsinstitut betont die Eigenverantwortung des Verunglückten, so dass die Ermittler die Strafbarkeit eines Bergkameraden, Touren- oder Bergführers wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung häufig ausschließen können.
Kann sich der Gast auf einer geführten Tour eigenverantwortlich selbst gefährden?
Bezahlt der geführte Gast für die absolute Sicherheit oder für das bleibende Erlebnis, das immer auch ein eigenes Restrisiko beinhaltet? Rechtsanwalt Dr. Stefan Beulke beleuchtete kritisch die Rechtspraxis bei Lawinenunfällen und die aus seiner Sicht kaum mehr überschaubare Vielfalt der fachlich-methodischen Lawinenkunde, was in der Praxis dazu verleitet, dass man sich weniger auf die methodisch ausgefeilten Fachexpertisen verlässt, sondern mehr auf banale Informationen wie „da ist schon gespurt“ oder „Aussagen von Bekannten“, was auch die aussagekräftige Skitouren-Studie des Deutschen Alpenvereins (DAV) bestätigt. Als Jurist und auch als erfahrener Bergführer stellt Beulke sich deshalb die entscheidende Frage, ob beim Führen nicht eine „Zero-Accident-Philosophie“ gelten sollte, also rechtliche Risikobewertungen einem eindeutigen Trend in Richtung „mehr Sicherheit und weniger Risiko“ folgen müssen. Nur in Ausnahmefällen lasse es die Rechtspraxis zu, dass sich ein geführter Gast trotz voller Risikokenntnis, adäquatem Fachwissen und autonomer Entscheidungsfähigkeit auf einer geführten Tour selbst gefährde und der Bergführer im schlimmsten Fall eines schweren Unfalls nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Beulke plädiert nicht ohne Widerspruch im Expertenkreis deshalb klar dafür, dass der Gast im Regelfall zu einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung überhaupt nicht fähig ist und auch grundsätzlich kein Risiko eingehen will.
Ki-basierter Skitourenguru
Gutachter und Juristen diskutieren derzeit kontrovers, wie sie das im Internet für Jedermann abrufbare digitale KI-basierte Planungstool „Skitourenguru“ rechtlich einordnen müssen, das Routen unter Einbeziehung des Lawinenlageberichts und des jeweiligen Geländes bewertet, vorschlägt oder auch davon abrät (https://www.skitourenguru.ch/). „Uns bleibt wohl nichts anders übrig, als die einschlägige rechtliche Entwicklung in den Alpenländern zu beobachten und abzuwarten“, resümiert Burger. Beulke prognostiziert: „KI-Tools werden den Bergführer bei einem Lawinenunfall im Zweifel noch stärker unter Rechtfertigungsdruck bringen als die bereits gerichtlich probabilistisch anerkannten Planungstools.“ Im Alpenraum bestehen schon jetzt sehr unterschiedliche Vorgaben zum Verhalten bei Skitouren, was sich im Juni in kontroversen Diskussionen bei der dreitägigen internationalen Tagung „Lawine und Recht“ des Schweizer Lawinenforschungsinstituts in Davos widerspiegelte, an der Burger zusammen mit Ausbildungsleiter Stefan Blochum für die Bergwacht Bayern teilnahm. Im Strafrecht zählt der jeweilige Tatort mit regional großen Unterschieden. In Italien genügt bereits der Tatbestand der abstrakten Gefährdung (Art. 426 iVm 449 Codice penale; Fall Bruno Kaserer, nun auch wieder im sogenannten Livigno-Fall). Allein das Auslösen einer Lawine auch im freien Gelände ist bereits strafbar, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass jemand zu Schaden kommen könnte. In Österreich muss dagegen grundsätzlich eine konkrete Gefährdung (Gefährdungstatbestände, §§ 89 und 177 StGB) dazukommen; ein Unglück muss aber auch dort nicht eintreten, um den Verursacher zu belangen. In Deutschland ist eine Lawinenauslösung nur dann strafbar, wenn tatsächlich jemand verletzt oder getötet wird; eine bloße Gefährdung Dritter, abstrakt oder konkret, genügt nicht.
Unterlassener Partnercheck
Ist der unterlassene gegenseitige Partnercheck nach dem Vier-Augen-Prinzip beim Klettern oder bei Bergrettern in der Flugrettung eine Haftungsfalle? Der Oberste Gerichtshof in Österreich urteilte dazu in einer nicht unumstrittenen Entscheidung, dass der Partnercheck ein rechtliches Sorgfaltsgebot sei, und straf- und haftungsrechtliche Konsequenzen bei einem vom Partner unterlassenem Sicherheitscheck und so verursachtem Unfall nach sich ziehe. Der Check sei laut Burger absolut sinnvoll und helfe richtig gut, Unfälle zu vermeiden. Ob man bei einem Verstoß mit folgenschwerem Unfall eines gleich guten Partners aber zwingend Gefahr laufen müsse, haftungsrechtlich „Haus und Hof“ zu verlieren, könne und solle man nach Einschätzung von Experten wie den erfahrenen österreichischen Bergführern und Alpingutachtern Peter Plattner und Walter Würtl aber mit gutem Gewissen und gegebenenfalls differenziert durchaus weiter diskutieren.
Unfälle in Kletterhallen
Gutachter Chris Semmel berichtete von mehreren durch ihn analysierten Unfällen in Kletterhallen, wo der Partnercheck besonders wichtig ist; konkret vom Drahtseilriss bei einem Selbstsicherungsautomaten, und einem verletzten Dritten, auf den ein im Vorstieg ins Seil gestürzter Kletterer gefallen war, ohne selbst den Hallenboden zu berühren. Derartige Unfälle kommen laut Semmel deshalb öfters vor, weil in Kletterhallen immer wieder zu beobachten sei, dass Dritte eigenmächtig die mögliche Sturzbahn eines vorsteigenden Kletterers einer anderen Seilschaft kreuzen. Das im konkreten Fall befasste Gericht teilte die Haftung in zwei Quoten auf. Der als Kläger aufgetretene geschädigte Dritte habe eine nicht erhebliche Mitschuld zu tragen, da er den Sturzraum nicht beachtet habe; der Sichernde der Seilschaft habe sich aber auch mitverschuldet, weil er nachgewiesen zu viel Schlappseil hatte, und der Stürzende habe hingegen überhaupt keine Teilschuld, weil ein Sturz an und für sich dem Klettern immanent sei und immer möglich sein dürfe. Ein Gerichtsurteil ist aber immer eine Einzelfallentscheidung; sichere Sturzräume und sichere Korridore für stark frequentierte Kletterhallen seien deshalb auch für die Betreiber ein wichtiges Thema, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen.
Plötzlicher Herztod am Berg ist die häufigste Todesursache für Männer ab 35
Der plötzliche Herztod am Berg ist die häufigste Todesursache von Männern ab 35 Jahren im Gebirge. Daher gilt es, durch innovative Ansätze Überanstrengungen am Berg zu vermeiden, präventiv auf kardiovaskuläre Risikofaktoren aufmerksam zu machen und auch im Vorfeld einer Wanderung die Route bestmöglich individuell nach der persönlichen Fitness zu planen, wie dies in Ruhpolding der sogenannte “Berg-Fit- Weg“ ermöglicht. Wolfgang Pohl, Präsident des Skilehrerverbandes und aktuell amtierender Vizepräsident des Bayerischen Kuratoriums für alpine Sicherheit (https://www.alpinesicherheit.bayern/), verwies in diesem Zusammenhang auf die aktuelle Kampagne „Wandern mit Herz“ mit Staatsminister Joachim Herrmann.
„Mandeln Sie sich nicht so auf!“ Gutachter dürfen nicht befangen sein
Sachverständige, die vom Gericht mit einem Gutachten beauftragt sind, dürfen nicht befangen sein, sehen sich aber insbesondere bei medial sehr präsenten Fällen immer wieder mit entsprechenden Sorgen und Vorwürfen konfrontiert und stehen dann plötzlich selbst im Focus der Öffentlichkeit, wie Franz Deisenberger, Chef der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Sachverständigen bereits früher eindrucksvoll schilderte; oft vorwurfsvolle Anrufe oder Besuche von Unbeteiligten, Betroffenen und Hinterbliebenen, die emotional überlagert die fachliche Kompetenz und die Unabhängigkeit infrage stellen, das Gutachten als zu einseitig empfinden und dann auch schimpfen. Nach Burgers jahrzehntelanger Erfahrung als Richter und Leiter eines Gerichts sei es gerade deshalb besonders wichtig, dass auch der Gutachter durch entsprechende Sorgfalt Sorgen der Befangenheit so weit wie möglich ausräumt, da vermeintlich kleine handwerkliche Fehler und Ungeschicklichkeiten ein ganzes Verfahren abrupt kippen können. Entscheidend sei im konkreten Fall, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. Fallstricke gibt es in der Kommunikation, bei persönlicher Nähe, bei Rechtsausführungen des Sachverständigen, besonders aber bei der Durchführung und Vorbereitung von Ortsterminen und auch bei vielleicht nur gut gemeinten Überschreitungen des eigentlichen Auftrags. Burger appellierte deshalb: „Keine eigenmächtige Überschreitung des Gutachter-Auftrags, keine eigene Beweiswürdigung von Zeugenaussagen, und, falls das Gericht im Beweisbeschluss den Sachverhalt formuliert, ist dieser maßgeblich.“ Sämtliche Unklarheiten und Fragen seien immer über das Gericht zu klären, was auch bedeutet, dass der Gutachter keine Unterlagen unmittelbar von einer Partei entgegennimmt und vor allem nicht einseitig mit Parteien kommuniziert und auch nicht mit einer Partei der Umwelt zuliebe gemeinsam zum Ortstermin fährt: Am unverfänglichsten sei es, wenn der Gutachter als Letzter kommt und als Erster wieder fährt. Für Erheiterung sorgte eine zitierte Einzelfall-Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Es ging darum, ob die Bemerkung „mandeln Sie sich doch nicht so auf“ gegenüber einem Anwalt an der Unparteilichkeit zweifeln lasse und die Besorgnis der Befangenheit begründen könne. Das oberste Gericht sagte klar nein, denn es handle sich um eine auf bayerisch eher zurückhaltend formulierte Bitte um Respektierung des Rechts sowie um Wahrung des Gebots der Sachlichkeit.
Der GAK setzt als hochrangiger Expertenkreis im Auftrag der hierfür zuständigen IHK für München und Oberbayern bundesweit die fachlichen Voraussetzungen für die Sachverständigen auf den Gebieten Ski-, Berg-, Kletter- und Lawinenunfälle, alpine Ausrüstung und Materialprüfung, Canyoning-Unfälle sowie bei Unfällen in mobilen Seilaufbauten und in Seilgärten fest und entscheidet mit über die Eignung der Bewerber. Zur Gewährleistung einer hohen Qualität der öffentlich bestellten und vereidigten Alpingutachter erarbeitete der Gutachterkreis zusammen mit der IHK eine bundesweit gültige Geschäftsordnung, um die fachlichen Bestellungsvoraussetzungen, insbesondere für Ski- und Berg-, Seilgarten- und Canyoning-Unfälle abschließend festzulegen und so deutschlandweit Rechts- und Planungssicherheit für das alpine Gutachterwesen zu gewährleisten und einen hohen Zulassungs- und Prüfungsstandard zu gewährleisten.
